Persönliche Einkommensteuerpflicht nach § 1 EStG
- Roland Schmidt

- 24. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Die Frage der persönlichen Steuerpflicht ist eine Frage von hoher internationaler Relevanz. Danach richtet sich, ob – insb. in Fällen mit Auslandsbezug – Deutschland auf alle oder auch nur einen Teil der Einkünfte eines Steuerpflichtigen Steuern erhebt.
Die Frage, ob eine natürliche Person in Deutschland einkommensteuerpflichtig ist und in welchem Umfang, richtet sich nach § 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen der unbeschränkten Steuerpflicht (Besteuerung des Welteinkommens) und der beschränkten Steuerpflicht (Besteuerung nur der inländischen Einkünfte).
Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG)
Den Regelfall der unbeschränkten persönlichen Steuerpflicht regelt § 1 Abs. 1 EStG. Danach sind natürliche Personen unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Entscheidend ist also die Ansässigkeit im Inland, nicht die Staatsangehörigkeit.
Ein Wohnsitz im steuerlichen Sinne liegt vor, wenn eine Person eine Wohnung im Inland innehat und diese beibehalten und nutzen will (Definition nach § 8 Abgabenordnung). Dabei kommt es nicht auf den Umfang der Nutzung an. Auch eine nur am Wochenende genutzte Wohnung kann einen steuerlichen Wohnsitz begründen. Entscheidend ist, dass die Wohnung auf Dauer vorgehalten wird; der Mittelpunkt der Lebensinteressen darf durchaus im Ausland liegen, ohne die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland auszuschließen.
Neben dem Wohnsitz kann alternativ ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland zur unbeschränkten Steuerpflicht führen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt wird angenommen, wenn jemand sich zusammenhängend länger als 6 Monate in Deutschland aufhält (kurze Unterbrechungen unschädlich). Auch ohne festen Wohnsitz kann somit durch einen längeren Aufenthalt (z.B. dauerhafte Projekttätigkeit über 183 Tage) eine unbeschränkte Steuerpflicht begründet werden.
Die unbeschränkte Steuerpflicht greift ab Geburt und gilt bis zum Tod einer Person. Sie bedeutet, dass die Person nach dem Welteinkommensprinzip mit allen in- und ausländischen Einkünften in Deutschland steuerpflichtig ist.
Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG)
§ 1 Abs. 2 EStG regelt die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht. Diese betrifft bestimmte Deutsche, die zwar nicht in Deutschland ansässig sind, aber in engem Dienstverhältnis zum deutschen Staat stehen. Unbeschränkt steuerpflichtig sind nämlich auch deutsche Staatsangehörige ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, die zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen. Typische Fälle sind Diplomaten, Auslandbeamte oder entsandte Soldaten, die im Ausland für Deutschland tätig sind und ihre Bezüge vom deutschen Staat erhalten. Diese Personen haben zwar ihren tatsächlichen Wohnort im Ausland, werden aber dennoch so behandelt, als wären sie in Deutschland ansässig (unbeschränkte Steuerpflicht).
Die Rationale dahinter liegt in der besonderen Dienst- und Treuepflicht dieser Personen gegenüber dem deutschen Staat. Sie sollen steuerlich nicht bessergestellt werden, nur weil sie sich dienstlich im Ausland aufhalten. Daher unterwirft § 1 Abs. 2 EStG ihr gesamtes Welteinkommen der deutschen Besteuerung – vorausgesetzt, sie werden im Wohnsitzstaat nicht ohnehin schon in vollem Umfang besteuert. Voraussetzung ist nämlich, dass im Aufenthaltsstaat lediglich eine der beschränkten Steuerpflicht vergleichbare Besteuerung erfolgt. Oft ist dies z.B. bei diplomatischen Missionen der Fall, da Diplomaten im Gastland steuerliche Privilegien genießen.
Zur erweiterten Steuerpflicht zählen auch die Angehörigen im Haushalt der genannten Personen, soweit sie entweder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder keine (bzw. nur inländische) Einkünfte erzielen. Damit wird z.B. der mitausgereiste Ehepartner eines Diplomaten ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland, sofern er kein nennenswertes eigenes Einkommen hat oder deutscher Staatsbürger ist.
Unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag (§ 1 Abs. 3 EStG)
§ 1 Abs. 3 EStG eröffnet bestimmten Personen ohne Wohnsitz/Aufenthalt in Deutschland die Möglichkeit, auf Antrag wie unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt zu werden. Diese Regelung – oft Grenzpendlerregelung genannt – soll insbesondere EU/EWR-Angehörigen zugutekommen, die zwar im Ausland wohnen, aber einen Großteil ihrer Einkünfte in Deutschland erzielen. Der Klassiker ist der tägliche Grenzpendler: z.B. jemand wohnt in Frankreich oder Österreich und arbeitet in Deutschland. Ohne § 1 Abs. 3 EStG wäre so jemand in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig (mit Besteuerung nur der deutschen Einkünfte, aber ohne Grundfreibetrag und andere persönliche Vergünstigungen). Mit der Antragstellung kann er jedoch in den Genuss der vollen steuerlichen Freibeträge und Vergünstigungen kommen, als wäre er Inländer.
Eine Person ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland kann den Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG stellen, sofern sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt und entweder mindestens 90 % ihrer gesamten Einkünfte der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die im Ausland erzielten Einkünfte eine bestimmte Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreiten. Praktisch bedeutet dies: Entweder stammen fast alle Einkünfte (≥ 90 %) aus Deutschland, oder das ausländische Einkommen ist so niedrig, dass es unter dem Grundfreibetrag liegt (für 2023 z.B. 10.908 € bei Ledigen). Letzteres stellt sicher, dass kein hohes Auslandseinkommen unversteuert bleibt. Der Steuerpflichtige muss seine weltweiten Einkünfte offenlegen und eine Bescheinigung der ausländischen Finanzbehörde über seine Nicht-DE-Einkünfte vorlegen. Wichtig zu wissen: Auch Ehegatten können unter bestimmten Voraussetzungen gemeinsam von dieser Regelung profitieren (Zusammenveranlagung bei EU/EWR-Wohnsitz des Partners und analoger 90%-Grenze bzw. doppeltem Grundfreibetrag für das Ehepaar).
Der Antrag auf unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG wird meist im Rahmen der Einkommensteuererklärung gestellt. Für Arbeitnehmer mit ausschließlich deutschem Arbeitslohn gibt es die Möglichkeit, bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren die sogenannte Anlage Grenzpendler EU/EWR abzugeben. Dann wird z.B. sofort die günstigere Steuerklasse III gewährt, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.
Beschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) – kurz erwähnt
Zum Abschluss sei die beschränkte Einkommensteuerpflicht skizziert. Sie greift immer dann, wenn eine natürliche Person keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, aber inländische Einkünfte erzielt. Diese beschränkte Steuerpflicht ist sozusagen der „Auffangtatbestand“: Nur wer überhaupt inländische Einkünfte (im Sinne des Katalogs des § 49 EStG) hat, wird in Deutschland steuerpflichtig; anderenfalls bleibt er vollständig außerhalb des deutschen Steuerzugriffs. Die Steuerpflicht beschränkt sich hierbei auf die in § 49 EStG aufgezählten Einkünfte – das können z.B. Einkünfte aus einer im Inland gelegenen Immobilienvermietung, aus Betriebsstättengewinnen in Deutschland, inländischen Kapitalerträgen (Dividenden) oder bestimmten in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten sein. Nicht erfasst werden bei beschränkter Steuerpflicht die ausländischen Einkünfte der Person; diese bleiben in Deutschland außer Ansatz.
§ 49 EStG enthält einen abschließenden Katalog, welche inländischen Einkünfte bei beschränkter Steuerpflicht erfasst werden. Dazu zählen unter anderem Einkünfte aus Immobilien oder Betriebsstätten in Deutschland, selbständige oder nichtselbständige Arbeit die im Inland ausgeübt wird, Dividenden und Zinsen von inländischen Quellen, sowie Lizenz- oder Rentenzahlungen aus Deutschland. Dieser Inlandsbezug rechtfertigt nach internationalem Steuerrecht das deutsche Besteuerungsrecht (Territorialprinzip). Für alle anderen (ausländischen) Einkünfte besteht hingegen kein Besteuerungsrecht Deutschlands, solange die Person nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist.
Fazit
Die Abgrenzung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht hat in der Praxis große Bedeutung – sie entscheidet, ob jemand mit dem weltweiten Einkommen der deutschen Besteuerung unterliegt oder nur mit bestimmten inländischen Einkünften. § 1 EStG liefert hierfür die Leitplanken: Wohnsitz oder langer Aufenthalt in Deutschland führen zur unbeschränkten Steuerpflicht, während umgekehrt bei fehlender Inland-Ansässigkeit nur inländische Einkünfte nach § 49 EStG besteuert werden (beschränkte Steuerpflicht). Besondere Regelungen ermöglichen es jedoch, im Ausland lebende Personen mit engen Bindungen nach Deutschland steuerlich wie Inländer zu behandeln – sei es kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 2 EStG für Diplomaten und Beamte) oder auf Antrag (§ 1 Abs. 3 EStG für Grenzpendler). In komplexen Grenzfällen – etwa bei doppelten Wohnsitzen oder grenzüberschreitenden Tätigkeiten – ist eine sorgfältige Prüfung ratsam, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines steuerlichen Beraters, um die Steuerpflicht korrekt zu bestimmen und alle Gestaltungsspielräume optimal zu nutzen.



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