Schiedsgerichtsbarkeit: Effiziente Alternative zur staatlichen Justiz?
- Niklas Farnbacher
- 16. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Jährlich im April lädt der Willem C. Vis Moot Nachwuchsjuristen aus aller Welt nach Wien ein (mittlerweile gibt es auch einen Ableger in Hongkong), um ein Schiedsverfahren – also die Verhandlung vor einem Privatgericht – zu simulieren. Realitätsgetreu, denn die Mehrheit der Welt hat sich (mehr oder weniger wirksam) mindestens bereits einer Schiedsgerichtsklausel unterworfen: Ein Blick in die Microsoft-Software-Lizenzbestimmungen (Deutschland – Stand Februar 2018) zeigt, dass im Falle eines Rechtstreits der Endnutzer mit Microsoft nicht vor deutschen oder amerikanischen Gerichten, sondern vor der „American Arbitration Association“ verhandelt. Anlass genug, um die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität von Schiedsvereinbarungen in nationalen und Internationalen Verträgen zu untersuchen und herauszustellen, weswegen überhaupt auf Privatgerichte zurückgegriffen wird.
Rechtsgrundlage für das Schiedsverfahren in Deutschland bildet das 10. Buch der ZPO, und die Vor- und Nachteile der Schiedsverfahren werden seit der Reform vor 25 Jahren rege diskutiert.
Neutralität, Sprache und Ort
Zum einen erlaubt die Anrufung eines Schiedsgerichts – im Unterschied zur nationalen staatlichen Gerichtsbarkeit – die Auswahl der Richter. So können die Parteien sicherstellen, dass zumindest der von ihnen ausgewählte Schiedsrichter die nötige Fachkunde besitzt, um nicht nur die rechtliche Fragestellung, sondern auch die wirtschaftlichen und technischen Aspekte des Streits nachvollziehen zu können. Ein Umstand, dem auch staatliche Gerichte durch Spezialisierung Rechnung tragen, indem besondere fach- und rechtsgebietbezogene Gerichtsstände (z. B. die „Kartellgerichte“ LG Düsseldorf, Dortmund und Köln) gebildet werden.
Ein untergeordneter Nebeneffekt ist, dass sich in grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen keine Seite vor einem vermeintlichen Heimspiel-Vorteil des anderen fürchten muss – sofern ein solcher Vorteil vor nationalen Gerichten überhaupt realistisch besteht, was vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Unparteilichkeit der Richter bzw. der Existenz von Rechtsmitteln gegen befangene Richter durchaus in Frage gestellt werden kann. Schiedsgerichte kommen losgelöst von der nationalen Identität der Institution zusammen, sodass die Neutralität des Schiedsgerichts gezielt sichergestellt werden kann.
Insofern wird auch vermieden, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Zuständigkeit eines Gerichts fraglich ist und parallele Gerichtsverfahren drohen. Durch die Schiedsklausel kann bereits im Vorhinein eine Einigung auf die Verfahrenssprache und den Ort des Verfahrens erzielt werden, was Kosten und Ressourcen spart.
Flexibilität
Die Möglichkeit, auch prozessual auf tatsächliche wirtschaftliche Gegebenheiten zu reagieren, stellt einen weiteren Vorzug des Schiedsverfahrens dar. Die Prozessordnungen staatlicher Gerichte gelten allgemein und lassen nur begrenzt Raum für Einzelfallregelungen. Eine Differenzierung für jeden Einzelfall ist nur eingeschränkt vorgesehen und wäre im Übrigen auch schwer umsetzbar.
Im Gegensatz dazu können sich Schiedsparteien im Rahmen der ad-hoc-Vereinbarung für jeden Streit erneut auf prozessuale Regeln einigen oder die Schiedsordnung der für ihre jeweilige Industrie relevanten Institution in ihren (Schieds-)Vertrag einbeziehen.
Geheimhaltung
Ein weiterer Nutzen der Anrufung privater Schiedsgerichte wird – zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht – darin gesehen, dass die durch das BVerfG bestätigte garantierte Öffentlichkeit der Verfahren vor staatlichen Gerichten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips vor privaten Gerichten keine Anwendung findet. Der Ausschluss bzw. die Beschränkung der Öffentlichkeit ist vor staatlichen Gerichten nur unter besonderen, gesetzlich genau geregelten Umständen möglich. Das Vorliegen solcher Gründe müsste im Einzelfall geprüft werden.
Im Gegensatz dazu unterliegen Schiedsverfahren grundsätzlich der strengen Geheimhaltung. Ist also eine Schiedsklausel wirksam in den Vertrag einbezogen worden, werden Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Geschäftsgeheimnisse, die es für Unternehmen besonders zu schützen gilt, erfahren damit auch einen besonderen Schutz.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass nicht alle Rechtsordnungen die Beweiserhebung wie die deutsche Rechtsordnung handhaben, stellt die garantierte Vertraulichkeit – falls die Parteien nicht darauf verzichten – einen entscheidenden Grund für die Vereinbarung einer Schiedsklausel dar.
Ein Beispiel dafür ist die eingangs erwähnte Microsoft-Vereinbarung, mit der das amerikanische Discoveryverfahren vor staatlichen Gerichten vermieden wird. Diese Art der Beweiserhebung hat den Anspruch auf absolute Wahrheitsfindung und erlaubt somit weitreichenden Zugriff auf Dokumente und Informationen in der Sphäre der Gegenseite – selbst, wenn diese nur marginal den zu verhandelnden Streit betreffen.
Jedoch gehen mit der Geheimhaltung auch negative Konsequenzen einher. Nur wenige Schiedssprüche gelangen an die Öffentlichkeit – ein gesellschaftlich bedenklicher Aspekt. Damit kann zu Streitigkeiten – die selbstverständlich auch zwischen Parteien ohne Schiedsvereinbarung zu den gleichen rechtlichen Fragen auftreten – keine richterliche Rechtsfortbildung erfolgen.
Dementsprechend ist auch aus wirtschaftlicher Sicht klar, dass grundsätzlich keine Präzedenzurteile erwirkt werden. Jede neue Streitigkeit – so ähnlich gelagert sie auch sein mag – muss mehr oder weniger neu ausgehandelt werden, was die Kosten für alle zu führenden Rechtstreitigkeiten insgesamt erhöht.
Verfahrensdauer
Zum Teil werden diese Kosten jedoch durch die schnelle Verfahrensdauer kompensiert. Laut Informationen des Bundesministeriums der Justiz beträgt die typische Verfahrensdauer in erster Instanz sowie Überprüfung des Schiedsspruchs (also beider Instanzen) insgesamt 3,16 Monate. Die staatliche Gerichtsbarkeit in NRW benötigt laut Landesjustizministerium NRW bereits in erster Instanz durchschnittlich 12 Monate bis zum Urteil.
In einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem sich Gegebenheiten bereits aufgrund eines Tweets ändern können, ist die kurze Verfahrensdauer vor Schiedsgerichten einer der Hauptgründe, weswegen auf die privaten Gerichte zurückgegriffen wird.
Kosten
Die Gewährleistung einer kurzen Verfahrensdauer sowie die Nominierung von bis zu drei Schiedsrichtern, die alle ein Honorar (von den Parteien bzw. mittelbar über die angerufene Institution) verlangen, sorgen für eine entsprechende Arbeits- und somit Budgetbelastung. In der Regel ist davon auszugehen, dass die Kosten eines Schiedsverfahrens über denen eines staatlichen Verfahrens liegen.
Damit stellen die finanziellen Aspekte insbesondere kleinere Unternehmen vor die Herausforderung, die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit mit der wirtschaftlichen Unternehmensführung zu vereinen. Dies gelingt besser, je größer das Unternehmen ist. Unter Umständen ist von der Aufnahme einer Schiedsklausel – je nach wirtschaftlicher Situation des Unternehmens – nach eingehender Prüfung eher abzusehen.
Vollstreckung
Schiedsurteile genießen international – durch völkerrechtliche Verträge wie die New York Convention – grundsätzliche Anerkennung. In vielen Fällen ist die Vollstreckung eines Schiedsspruchs einfacher und direkter als die Vollstreckung eines fremden staatlichen Urteils.
Beteiligung Dritter
Als privatrechtlicher Vertrag bindet die Schiedsklausel nur die Parteien, die den Vertrag auch unterschrieben haben. Im Unterschied zu staatlichen Gerichten sind Schiedsgerichte auch nicht mit Hoheitskraft ausgestattet, um gegen Dritte oder andere nicht direkt beteiligte Parteien vorzugehen. Dies ist problematisch, wenn innerhalb einer Unternehmensgruppe nur ein Unternehmen die Schiedsklausel unterzeichnet hat.
Instanzenzug
Des Weiteren bestehen im Gegensatz zum staatlichen Verfahren nur begrenzte Überprüfungs- oder Berufungsmöglichkeiten. Schiedssprüche sind in der Regel endgültig und bindend, sodass – falls der Ansicht einer Partei nach rechtsfehlerhaft oder ungerecht entschieden wurde – Rechtsschutz nur eingeschränkt möglich ist.
Fazit:
Schiedsklauseln haben sich – gerade im Kontext des internationalen Handels – bewährt. Sie geben den Parteien die Möglichkeit, eine individuelle und oft auch sachgerechtere Lösung bei Streitigkeiten zu finden, die den Kooperationsgedanken von Geschäftsbeziehungen in den Vordergrund stellen. Vor den komplexen Hintergründen verbietet sich aber die blinde Übernahme einer standardisierten Klausel in das eigene Vertragswerk.
Die Art der Schiedsklausel (z. B. mehrstufige mit vorgelagerter Mediation als Bedingung für das Schiedsverfahren oder Ad-hoc-Klausel) und die Notwendigkeit der Schiedsklausel müssen für den Einzelfall des Vertrags geprüft werden, um kostspielige Verfahren zu vermeiden. Dabei kann allgemein an die Hand gegeben werden, dass die Kosten-Nutzen-Abwägung sich zugunsten einer Schiedsklausel verschiebt, je höher der Streitwert ist. Handelstreibende können die Schiedsklausel als „Absicherung eines fairen Verfahrens“ verstehen: Die Umsetzung einer sachgerechten Schiedsklausel erhöht den Aufwand des Geschäfts, sichert dieses aber zuverlässig ab.
Gerne unterstützen wir Sie bei dieser Prüfung und einer rechtssicheren und wirtschaftlich sinnvollen Ausgestaltung – national wie international.
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